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„…als flögen wir davon…“ – Seicento vocale (Münster-Nienberge)
13. November, 19:30
Vokalmotetten des Barock
mit Kompositionen von Johann Christoph Bach, Lucretia Vizzana, Frantisek Tuma, Niccolo Jommeli, Johann Michael Bach und Johann Hermann Schein
Vokalensemble Seicento vocale
Ursula Göller, Sopran
Marina Schuchert, Sopran
Julia Spies, Alt
Maximilian Vogler, Tenor
Jakob Kreß, Bass
Martina Binnig, Violone
Jan Croonenbroeck, Cembalo & musikalische Leitung
Alexander Toepper, Truhenorgel & musikalische Leitung
Für „ach, wie flüchtig, ach, wie nichtig“ wird das Leben insgesamt gehalten im
deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts. Kaum geboren, so konstatiert Johann Christoph
Bach (1642-1703) aus der ,Arnstädter Linie‘ der Bachfamilie, „fleucht“ der Mensch „wie ein
Schatten“ und „fällt ab wie eine Blume“ – Bilder, die uns moderne Menschen vielleicht
befremden oder direkt ins Herz treen, sei es bei Betrachtung barocker Stillleben im Museum
oder in der Ruhe von Musik gewordener Barocklyrik. Wie weit sind wir heute weg von diesem
Gedanken? Wann haben wir ihn zuletzt zugelassen?
Im Programm „… als flögen wir davon…“ stellt sich das Vokalensemble Seicento vocale der
Frage, welche Musik und Gedanken uns begleiten könnten auf dem Weg in die andere Welt. Der
erste Teil beleuchtet vor allem das Gefühl der Reue und der Bitte um Erlösung. Der
mitteldeutsche Komponist Johann Hermann Schein (1586-1630), die bologneser Nonne Lucrezia
Orsina Vizzana (1590-1662) und der hochbarocke Niccolò Jomelli (1714-1774) erbeten
Schonung vor Strafe, Seelenruhe vor Kummer und vor den im Leben zwangsläufig gemachten
Fehlern wie auch Fürsprache im Falle einer Anklage vor dem höchsten Gericht.
Mit der Motette „Da Jakob vollendet hatte“ aus J. H. Scheins Sammlung Israelsbrünnlein und
František Tůmas (1704-1774) „Stabat Mater“-Vertonung wandert der Blickwinkel auf die
Sterbesituation als solche und die Begleitung des Sterbenden durch liebende Angehörige. Die
Besetzung des „Stabat mater“ für SATB und Continuo ist dabei intim (kein Orchester, kein großer
Chor) und auangend zugleich. Maria, die Mutter Jesu, wird in der Situation des grausamen
Kreuzestodes ihre Sohnes nicht allein gelassen, sondern vier singende Menschen gehen dabei in
homophone Empathie mit ihren vielfältigen Gefühlen, die von Tůma mit harmonischer
Gewandtheit ausgeleuchtet werden.
Wieder konzentriert auf den protestantischen Gedanken, das Leben sei kurz und im für alle
besten Falle arbeitsam, präsentiert uns Johann Michael Bach (1648-1694), Großonkel und erster
Schwiegervater Johann Sebastians, Psalm 90: „Denn [das Leben] fähret schnell dahin, als flögen
wir davon…“ Doch in diesem Satz steht auch die Perspektive, die Seele könne sich nach allen
irdischen Mühen im letzten Augenblick ganz vogelleicht auf die Reise machen. Die
Verschränkung mit dem Choral „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ (später Abschluss von J. S.
Bachs Johannespassion geworden) lässt diese hoffnungsvolle Assoziation zu. Auch J. H. Schein
verweist darauf, dass der Gedanke an unser irgendwann kommendes Ende uns klüger
zurückließe, und schließt versöhnlich – durch Vorhaltketten und melismatische Verwebungen in
einem Anklang der Ewigkeit: „So wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Lebe lang.“
Das Vokalensemble Seicento vocale musiziert in diesem Programm in einer kleinen Besetzung
solistisch mit zwei Sopranen, Alt, Tenor, Bass sowie drei Continuo-Instrumenten. Die großen
Fragen des Lebens und die Suche nach Transzendenz finden so ihren Widerhall in der direkten
musikalischen Begegnung junger Musizierender, im zugewandten und lebendigen Gestalten, im
Kontrast aus ästhetisierter Lebensliebe und Ringen um Todesmut.
